Nach vielen Jahren habe ich mich jetzt entschieden, den Bereich des digitalen Mathe-Lernens zu verlassen. Es war eine lange, lange Reise, die ich mit viel Experimentierfreude und Leidenschaft gegangen bin. Noch bis Ende dieses Monats werde ich an diesem Thema arbeiten und danach das Kapitel schließen.
Es muss so 2019 rum sein, dass ich mir überlegte: Mensch, mit digitalen Medien muss es doch möglich sein, das Mathematik lernen zu verbessern! Ich konnte parallel in der Labschool ein wenig ausprobieren und erlebte eine Reihe von eher mittelmäßigen Tools. Ich dachte mir: Das kann man doch besser machen. Und in dieser Zeit hat mir Serlo auch eine Arbeit auf diesem Bereich angeboten. Der Bedarf nach einem solchen Tool ist da - es scheint nur die richtige Umsetzung zu fehlen.
Ich fühlte mich für diese Aufgabe wie berufen. Ich habe einen soliden Tech-Hintergrund, so dass ich Ideen schnell umsetzen kann. Ich habe mittlerweile einige tausend Stunden mit Mathematik verbracht - Schulmathematik ist für mich inhaltlich kein Problem. Und ich habe eine große Leidenschaft für das Lehren und Lernen. Ich dachte mir: Das ist die perfekte Kombination, um ein digitales Mathe-Lern-Tool zu entwickeln. Plot-Twist: es war nicht so.
In diesem Prozess habe ich sehr viel gelernt darüber, was gutes Lernen ausmacht, was meine persönlichen Vorlieben sind, wie der Kapitalismus funktioniert (nein, nicht wirklich, kleiner Scherz). Es war aber auch ein stellenweise einsamer Prozess.
Es ist jetzt 2025, ich gebe Mathematik-Nachhilfe an einer Schule und erlebe dabei Momente des Glücks und der Zufriedenheit. Diese Momente erlebe ich weitestgehend ohne Einsatz digitaler Medien. Mathematik kann meist alleine mit einer Tafel und einem Stift gemeistert werden und diese Einfachheit fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Das ist etwas, das ich über mich kennengelernt habe: ich liebe den analogen Charakter der Mathematik.
Ein Blatt Papier und ein Stift - wer hätte gedacht, dass sie so starke Werkzeuge zum Denken sein können? Für mich sind sie das. Auf dem Papier kann man seine Gedanken auf einer Ebene sortieren, man hat seine Ruhe und ist ganz bei sich und dem Problem. Es ist ein Moment der Unabhängigkeit, den mir keiner nehmen kann. Natürlich hilft ein Taschenrechner hier und da weiter. Je nach Fragestellung sind auch andere Tools hilfreich. Und ich sage nicht, dass das die einzig wahre Möglichkeit ist Mathematik zu betreiben. Aber in all den Jahren habe ich keine digitale Erfahrung gefunden, die diesen Moment der Unabhängigkeit und des Denkens ersetzen kann.
Diese fehlende Perspektive war eine der Gründe, warum ich mich aus diesem Thema zurückziehe. Aber auch die Erkenntnis, dass ich ohne einen klaren Kern nur sehr unproduktiv arbeite und tatsächlich zu wenig Durchhaltevermögen habe. Es fehlte mir auch an Gemeinschaft, irgendwie habe ich es nicht geschafft, in der Community Anschluss zu finden. Die Menge an Gründe haben mich letztlich dazu bewegt, dieses Kapitel zu schließen.
Und doch fühlt sich das nicht an wie Aufgeben. Denn im Kern lasse ich meinen Übermut und der stellenweisen Hochnäsigkeit los. Lange Zeit stützte ich meinen Selbstwert auf die Tatsache, dass ich irgendwie “besser Mathe-Lehren kann als alle anderen”. Das tue ich jetzt nicht mehr. Ich habe gelernt, die Welt mit mehr Respekt und Wertschätzung zu sehen. Ich bin gewachsen. Es hat lange gedauert, haha, zu dieser Einsicht zu kommen. Bin froh, hier zu sein.
Eines meiner letzten Projekte war das Einhorn der Mathematik, probiere es doch mal aus und entscheide für dich selbst, ob es dir gefällt.